Ein Werkstattbericht zum Kongress „Lebenswelten inklusiv gestalten“

Vom 14. bis 16. Mai 2018 diskutierten und informierten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Studierende, Athletinnen und Athleten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Einrichtungen der Behindertenhilfe und Interessierte auf dem wissenschaftlichen Kongress „Lebenswelten inklusiv gestalten“ zu Themen Sport und Inklusion, Schule und Bildung sowie Gesundheit und Bewegung. Es war ein buntes Programm mit sehr praxisorientierten Empfehlungen zur Gestaltung inklusiver Lebenswelten.

Der wissenschaftliche Kongress wurde von der SOD Akademie in Zusammenarbeit mit dem Institut für Sportwissenschaft der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel veranstaltet und war bereits der sechste Kongress der SOD Akademie.

Prof. Dr. Manfred Wegner, Vizepräsident Wissenschaft & Akademie: „Das ist ein Thema das muss man weiter bewegen und dann bewegen wir insgesamt Vieles weiter.“ Manfred Wegner im Gespräch mit Kongresseteilnehmern. (Foto: SOD/Jan Konitzki)
Prof. Dr. Manfred Wegner, Vizepräsident Wissenschaft & Akademie: „Das ist ein Thema das muss man weiter bewegen und dann bewegen wir insgesamt Vieles weiter.“ Manfred Wegner im Gespräch mit Kongresseteilnehmern. (Foto: SOD/Jan Konitzki)

Eröffnungstag des Kongresses, Montag 14. Mai 2018

Die Kongressteilnehmenden wurden durch die Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur in Schleswig-Holstein, Karin Prien, begrüßt.

„Die Vielfalt in unserer Gesellschaft ist ein großer Schatz.“, so Prien. „Sport verbindet und ist somit ein gutes Mittel, die Menschen mit und ohne Behinderung zu vereinen.“ Weiterhin begrüßte Prof. Dr. Ulrich Hase, Landesbeauftragter für Menschen mit Behinderung in Schleswig-Holstein die Kongressteilnehmenden. Er betonte, dass die Special Olympics Kiel 2018 deutlich machen, wie wichtig es ist, dass „behinderte Menschen mit behinderten Menschen in Kontakt kommen“. Gerwin Stöcken, Stadtrat Kiel, sowie Prof. Dr. Ilka Parchmann, Vizepräsidentin der Universität, ließen es sich ebenfalls nicht nehmen, die Teilnehmenden zu begrüßen. Mark Solomeyer, Athletensprecher und Vizepräsident von Special Olympics Deutschland (SOD) eröffnete schließlich den Kongress: „Es ist für mich und SOD ein gutes Zeichen, dass wir hier so zahlreich sitzen.“

Mit seinem internationalen Blickwinkel am ersten Kongresstag eröffnete Prof. Dr. Roy McConkey (Ulster University, Nordirland) die wissenschaftliche Vortragsreihe. Seine Universität führte in enger Abstimmung mit Special Olympics eine Studie mit Athletinnen und Athleten sowie Coaches von Special Olympics durch. Weiter ging es mit Prof. Dr. Ashraf Marei (Uni Helwan und Beauftragter für die Belange von Menschen mit Behinderung in Ägypten). Er legte dar, wie Inklusion durch Sport in Ägypten verwirklicht wird. Als ehemaliger Paralympics-Teilnehmer und Mitbegründer von Special Olympics Ägypten berichtete er zum Thema Inklusion aus seiner persönlichen Perspektive. Abgerundet wurde die Perspektive von Ute Blessing, Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB). Sie berichtete zur Inklusion im und durch Sport und machte Vorschläge zur besseren Umsetzung in Deutschland.

Durch die drei Vorträge zog sich der Grundgedanke, dass man Inklusion nicht an Gesetzen festmachen kann, sondern diese in der Gesellschaft etablieren muss. Zudem stellten alle Referierenden fest, dass Sport ein großartiges Mittel sei, um diese Botschaft zu übermitteln.

Ein weiteres Highlight des ersten Tages bot das Interviewforum unter der Leitung von Dr. Daniela Schwarz, TU München, und Dr. Timo Schädler, Leiter der SOD Akademie. In dem interaktiven Forum berichteten die Athletensprecher aus Bayern, Albin Hofmeyer und Patrick Brehmer, aus Baden-Württemberg, Tatjana Raible, und Martin Nielsen aus Dänemark von ihren persönlichen Erfahrungen im Alltag und beim Sport. In Interaktion mit den Moderatoren und dem Publikum äußerten sie auch ihre Wünsche für weitere Bildungsangebote für Menschen mit geistiger Behinderung.

Tag 2, Dienstag 15. Mai 2018 – Schwerpunktthema: Schule und Bildung

Prof. Dr. Heike Tiemann (Uni Leipzig) gab einen allgemeinen Einstieg in das Thema Inklusion in Schulen. Ein besonderes Augenmerk galt dem Artikel §24 der UN-Behindertenrechtskonvention. Dieser schreibt allgemein vor, dass Inklusion in deutschen Schulen erwünscht wird, allerdings nicht, wie diese umzusetzen ist. So ergeben sich aufgrund des Bildungsföderalismus in Deutschland sehr verschiedene Inklusionsquoten innerhalb der Bundesländer. „Die Gesetzgebung in Deutschland sorgt dafür, dass in den unterschiedlichen Bundesländern Schule und Inklusion nicht dasselbe sind.“, so Tiemann. Neben dem versprochenen Überblick gab sie auch viele Denkanstöße zur Umsetzung von Inklusion in Schulen, die bereits im Nachgang beim sogenannten Meet the Experts in der Pause diskutiert wurden.

Prof. Dr. Georg Friedrich (Uni Gießen) stellte die Ergebnisse seiner neuesten Studie „Integration durch Sport“ vor. „Wir gehen davon aus, dass Sport die Selbstständigkeit der Athleten und Athletinnen fördert.“, so Friedrich. Er hatte eine Umfrage sowohl an Athletinnen und Athleten als auch deren Coaches und Eltern durchgeführt.

Im Anschluss an die Key Notes ging es in die Arbeitskreise Bildung, Schule, wissenschaftliches Arbeiten und Historisches Seminar, die gut besucht waren und interessante Diskussionen entstehen ließen.

Arbeitskreise

Arbeitskreis zum Thema Schule. (Foto: SOD/Jan Konitzki)
Arbeitskreis zum Thema Schule. (Foto: SOD/Jan Konitzki)

In Verbindung zu den beiden Vorträgen wurde im Arbeitskreis 1 „Schule“ – moderiert durch Frank Diesener, Vorsitzender des SOD Länderrats und selbst Direktor einer Förderschule, – die Bildung von Netzwerken im Sozialraum behandelt. Dr. Angela Ehlers (BSB Hamburg) berichtete von der Situation der inklusiven Schule in Hamburg. Ebenso konnte Hendrik Stewen, Förderschullehrer und Mitglied der Arbeitsgruppe Unified aufzeigen, was Inklusion in der Schulpraxis bedeutet. Beide Inputgeber wiesen auf die Bedeutung von Ressourcen hin. Und damit sind nicht nur finanzielle, sondern vor allem auch zeitliche und personelle Ressourcen gemeint.

Im Arbeitskreis 2 „Bildung“, der von Dr. Timo Schädler moderiert wurde, konnten die Zuhörer erfahren, welche Bildungsangebote gerade entwickelt werden. Dr. Karsten Schul und Teresa Odipo von der Deutschen Sporthochschule Köln berichteten aus ihrem Projekt, das zum Ziel hat, digitale Lerntools für die LehrerInnenbildung zu entwickeln. Es geht vor allem darum, im Unterricht nicht auf bestimmte Bedingungen (z.B. Schüler, der nicht sehen kann) zu reagieren, sondern sich als Lehrkörper mit den Tools vorab auf solch einen Unterricht vorbereiten zu können. Für die Vorbereitung eines inklusiven Sporttrainings dient auch das Handbuch „Teilhabe und Vielfalt“, das von Lars Pickardt von der Deutschen Behinderten Sportjugend vorgestellt wurde. Das Handbuch richtet sich an Referenten, die Qualifikationsinitiativen in dem Bereich durchführen und Trainer/Übungsleiter auf den inklusiven Trainingsbetrieb vorbereiten. Eine Qualifikationsmaßnahme im Bereich der inklusiven Jugendleiterausbildung stellte Jakob Voß von der Sportjugend Schleswig-Holstein vor. Die Befähigung der Menschen, damit sie im sozialen Bereich Verantwortung übernehmen können, ist der Sportjugend ein wichtiges Anliegen. Daraufhin kamen auch die von der SOD Akademie ausgebildeten Athletensprecher zu Wort, die über ihre Erfahrungen als Trainerassistent berichteten. „Ich hätte Interesse über den Sport hinaus Gruppen zu leiten und zu unterstützen“, so Werner Wiedemann, Athletensprecher von Special Olympics Bayern (SOBY). Auch Markus Protte, ebenfalls Athletensprecher SOBY berichtete von seiner Arbeit als Übungsleiter-Assistent „Wir machen das zusammen und teilen uns die Aufgaben auf.“ Die Qualifizierung zum Übungsleiter-Assistent für Menschen mit geistiger Behinderung wird von der SOD Akademie mit SOBY und der TU München angeboten. Schließlich gab Olga Kahlkopf, Referentin für Sportentwicklung, Bildung und Lehre (Menschen mit geistiger Behinderung) vom Deutschen Behinderten Sportverband einen Einblick in das Ausbildungssystem ihres Verbandes.

Arbeitskreis "Wissenschaftliches Arbeiten". (Foto: SOD/Jan Kontizki)
Arbeitskreis „Wissenschaftliches Arbeiten“. (Foto: SOD/Jan Kontizki)

Im Arbeitskreis 3 „Wissenschaftliche Arbeiten“ wurden aktuelle Studien vorgestellt. Die Moderatoren Prof. Dr. Friedhold Fediuk und Dr. Florian Pochstein (beide PH Ludwigsburg) stellten selbst aktuelle Arbeiten zu den Themen „Inklusion in Baden-Württemberg“ und „Voltigieren und Inklusion“ vor. Dr. Steffen Greve (Uni Leuphana) bezog sich in seiner nutzerfokussierten Evaluation bei Freiwurf Hamburg auf den Handballsport. Dr. Gerd Schmitz (Uni Hannover) stellte aus seiner Arbeit Variablen des subjektiven Belastungsempfinden bei Fußballspielern mit geistiger Behinderung vor.

Der Arbeitskreis 4 wurde durch das Historische Seminar der CAU organisiert und moderiert. Aktiv miteingebunden war das Institut für inklusive Bildung, welches bei der CAU in Kooperation mit der Stiftung Drachensee entstanden ist.

Der Arbeitskreis wurde dann in das Podium übertragen, moderiert von Raphael Rössler vom Historischen Seminar, wo die Geschichte und die Entwicklung des Behindertensports mit Diskutanten aus unterschiedlichen Bereichen aufgezeigt wurden. Auch hier waren die Referenten des Instituts für inklusive Bildung aktiv und führen durch die Diskussion.

Um die Selbsterfahrung und eigene Vermittlungskompetenz zu stärken, endete der zweite Tag für die Anwesenden mit den Möglichkeiten, sich selbst zu bewegen und Neues auszuprobieren. Yoga (angeleitet durch Gesa Gurski, CAU), Stand Up Paddling (Mareike Setzer & Dr. Johannes Wohlers, CAU), Klettern (mit Markus Reichart, Special Olympics) und kleine Spiele (Markus Kratz, KSV Stormarn) erweiterten den Bewegungshorizont. Menschen mit und ohne Behinderung bildeten Lerntandems, um voneinander zu lernen und sich gemeinsam zu bewegen.

Tag 3, Mittwoch, 16. Mai 2018 – Schwerpunktthema: Gesundheit/Bewegung/Engagement

Der dritte und letzte Kongresstag begann mit Prof. Dr. Dietrich Milles (Uni Bremen) und seiner Gestaltung eines Interventionsprogrammes in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Dabei stand vor allem die Entwicklungsförderung durch Motivation, Bewegung und Handlung im Vordergrund. Nachgewiesen wird der Effekt der Förderung für Menschen mit geistiger Behinderung durch sportmotorische Tests, eine wöchentliche Dokumentation sowie direkten Interviews mit zugehörigen Gruppenleiterinnen und Gruppenleitern.

Das SOD Gesundheitsprogrammes „Healthy Athletes®“ wurde in der nächsten Key Note durch Dr. Imke Kaschke (Special Olympics Deutschland) vorgestellt. Intention des Programms ist es, die Gesundheitskompetenzen der Menschen mit geistiger Behinderung zu verbessern. Hierbei wird die physische, aber auch die psychische Gesundheit der Special Olympics Teilnehmerinnen und Teilnehmer durch ärztliche Untersuchungen festgestellt und Empfehlungen sowie Tipps zur Gesundheitsförderung gegeben.

Arbeitskreise

Nach den Key Notes schlossen sich weitere Arbeitskreise an. Der Arbeitskreis 1 „Mobilität und Bewegung“ moderiert von Dr. Vera Tillmann (Forschungsinstitut für Inklusion durch Bewegung und Sport) gab Einblicke in verschiedene Settings. Dr. Jan Ries von der Hochschule Fulda stellte das Netzwerk vor, welches derzeit im Kreis Fulda für Inklusion entsteht. Auch der KSV Stormarn hat mit Joachim Lehmann und Markus Kratz zwei Aktivposten, die das inklusive Sportangebot vor Ort unterstützen und durchführen. Dr. Timo Schädler wies bei seinem Projekt „Die sportliche Werkstatt“ darauf hin, dass die SOD Akademie Werkstattbeschäftigte qualifiziert, um Gesundheit, Bewegung und Sport in ihrem Kollegenkreis im Sinne eines „Peer to Peer-Ansatzes“ vertreten zu können. Vera Tillmann selbst stellte Ergebnisse aus dem Projekt über Sportangebote im teilstationären und ambulanten Wohnen vor.

Im Arbeitskreis 2 „Gesundheitsorientierte Angebote für Menschen mit geistiger Behinderung“ zeigte Julia Albrecht (SO Schleswig-Holstein), wie sie in ihrem Uni-Projekt mit der Stiftung Drachensee Möglichkeiten geschaffen hat, um die Gesundheitskompetenz von Menschen mit Behinderung zu stärken.

Der Workshop „Inklusive Redaktion“, geleitet durch Luca Wernert (Special Olympics Deutschland) ließ eine lockere Diskussions- und Interviewrunde zwischen Teilnehmenden und Andreas Schmidt (Leiter der zentralen Programmaufgaben NDR), sowie Kristian Blasel (Lokalchef der Kieler Nachrichten) entstehen. Luca Wernert leitete die Diskussion mit zentralen Fragen zum Thema Special Olympics, Leichte Sprache, Inklusion in den Medien und Reichweite der Medien im Zusammenhang mit Beiträgen zu den Nationalen Spielen. So brachten sich auch Menschen mit geistiger Behinderung in die Diskussion ein. Sie schilderten Möglichkeiten, ihre eigene Medienpräsenz zu erhöhen.

Zum Schluss

Das Schlusswort zum internationalen, interdisziplinären und inklusiven Kongress sprach Christiane Krajewski, Präsidentin von SOD. Sie sprach einem großen Dank an alle Referierenden und Teilnehmenden, Helfenden und an die tolle Unterstützung der Christian-Albrechts-Universität sowie dem Moderator Prof. Dr. Manfred Wegner aus.

Der Kongress hat gezeigt, dass das Thema Inklusion aus verschiedenen Richtungen immer wieder betrachtet werden kann und es doch eine klare Schnittmenge gibt: Inklusion heißt, dass alle teilnehmen und mitmachen können. Das gilt – und das wurde ebenso deutlich – auch für den Bereich der Forschung und Lehre. Menschen mit Behinderung sind vereinzelnd schon aktiv eingebunden als Forschende und Lehrende. Das muss und wird in den nächsten Jahren noch weiterentwickelt werden. Menschen mit Behinderung waren aktiv eingebunden als Referenten, als Podiumsgäste, als Key Note Speaker, als Moderatoren und natürlich als Teilnehmende. Ein besonderes Augenmerk auch in der Kommunikation auf Augenhöhe lag bei den Menschen mit geistiger Behinderung. Der Kongress wurde möglichst allen Menschen zugänglich gemacht: Gebärdensprachdolmetscherinnen waren anwesend und Simultanübersetzung in Leichter Sprache wurde durchgehend angeboten. „Wir gehen weg von der Eventveranstaltung, hin zu einer Bewegungsinklusion.“, so Krajewski. „Es ist wunderbar gewesen, dass sich der Kongress so tiefgründig den Themen Inklusion, Sport und Bildung widmen konnte und viele wertvolle Hinweise und Forschungsansätze gegeben wurden. Weitere Multiplikatoren konnten durch den Kongress gewonnen werden.“